Reisegebiet: | Templiner Gewässer (Brandenburg) |
Reisezeit: | April 2009 |
Start-Basis: | Mildenberg |
Hausboot-Crew: | Dr. Edgar W. Faust |
Unser Boot: | Kleines Seemobil |
Hausboot-Route: | Templiner See, Bruchsee, Gleuensee & Fährsee |
Liebe Freunde des Wassersports!
Nicht nur, dass die Kameraden mich mit der Organisation des alljährlichen Herbsttreffens beauftragten. Zu diesem schweren Schicksalsschlag gesellte sich ein weiterer: die Durchführung des Frühjahrs-Testtörns: "Irgendwas Neues, neues Revier, neuer Vercharterer, neuer Schiffstyp, oder für die Damen ... neue Schiffsdiät".
Wir wählten ein "Seemobil" aus, von uns liebevoll "Schuhschachtel" genannt. Wir hatten es letztes Jahr auf dem Stolpsee gesehen und waren neugierig geworden.
Derzeit gibt es zwei Versionen der "Schuhschachtel":
» eine kleinere für 2 Personen und
» eine größere für 4 Personen.
Das kleinere Seemobil misst 10,85 m x 4,20 m, H 3,80. Sie war für eine Woche unser Fahr- und Wohnzeug. Dieses SEEMOBIL verfügt über ein Schlafzimmer, Duschbad und elektrische Spültoilette, ein großes, vollverglastes Wohnzimmer mit dem Fahrstand vorne rechts, und eine in jeder Hinsicht gut ausgestattete Küchenzeile, die seitlich ins Wohnzimmer integriert ist. In einem Schapp auf der Terrasse achtern befindet sich eine Junkers-Gastherme, die jederzeit für warmes Wasser sorgt, und - gut zugänglich - die Gasflaschen. Vorne befindet sich eine großenteils überdachte Terrasse, die bei schönem Wetter durch Öffnen aller Schiebetüren in das Wohnzimmer integriert werden kann. Das Fahrzeug verfügt ferner ständig über 220 V, mit zahlreichen Steckdosen und einer Zentralschaltung am Fahrstand.
Unser erwähltes Fahrgebiet waren die Templiner Gewässer, v.a. da wir die Seen hinter der Schleuse Templin während des Törns im vergangenen Herbst nur kurz erkundet hatten. Neben dem Templiner See gibt es dort noch den Bruchsee, den Gleuensee und den größeren Fährsee. Alle sehr schöne Ankergewässer. Wem das keinen Spaß macht, dem sei der Stadthafen in Templin empfohlen, etwa 500 m nach der Schleuse und einer großen Rechtskurve. Er wird von den Eheleuten Fröhnel betrieben, und bestätigte eine frühere Erfahrung: die reißen sich ein Bein aus, um einem zu helfen, sollte es notwendig sein. Und man hat nur 2-3 min bis in die Innenstadt.
Doch zunächst zurück zu den Eigenschaften des SEEMOBILS: Das Fahrzeug lässt sich nach kurzem Sich-vertraut-machen leicht und genau fahren, obwohl es kein Bugstrahlruder besitzt. Dafür hat es aber zwei Maschinen - für meinen Geschmack viel besser als ein Bugstrahl: damit kann man auf dem Teller drehen! Vor allem bei Langsamfahrt, bei wenig Schraubendruck auf dem Ruder, lässt sich so das Schiff hervorragend ausrichten und macht jede Schleuseneinfahrt (fast) zum Kinderspiel. Etwas gewöhnungsbedürftig ist der Umstand, dass das Schiff zwar von vorne gefahren (Fahrstand), aber von hinten gelenkt wird. Es gilt also, stets die beiden großen Rückspiegel im Auge zu behalten, da die Sicht nach achtern bauartbedingt eingeschränkt ist. Für Rückwärtsmanöver ist daher ein Wahrschauer auf der Heckplattfom hilfreich. Unsere kleinen Handfunkgeräte erwiesen sich dabei als sehr nützlich.
Trotz der zwei Wellen hat das Schiff eine "Schokoladenseite" für Längsseitsmanöver, da beide Wellen rechtsdrehend sind und deshalb bei Rückwärtsfahrt nach Backbord versetzen. Das ist ein Vorteil. Üblicherweise sind zwei Wellen gegenläufig. Hier hat man darauf verzichtet.
Die beiden Maschinchen (je 16 PS Diesel) machen natürlich aus der "Schuhschachtel" kein Rennboot. Folgende Fahrleistungen habe ich gemessen: Bei 1.400 rpm etwa 5,5 kmh, bei 1.800 rpm knapp 7 kmh, bei 2.000 rpm etwa 8,5 kmh, bei 2.200 rpm knapp 10 kmh, stromaufwärts, Havelmitte. Die empfohlene Reisegeschwindigkeit liegt bei 1.800 rpm: hier ist das Produkt aus Geschwindigkeit, Lärmbelastung und Verbrauch (eher 2 X 2 l als 2 X 3 l Diesel) am günstigsten. Und auf den meisten Wasserstraßen gibt es sowieso Beschränkungen.
Offensichtlich wurde nicht nur auf die technische, sondern auch auf die ästhetische Gestaltung des Seemobils sehr viel Mühe verwendet. Erkennbar wird das bereits an der Materialauswahl: Schwimmkörper und Reling aus Edelstahl; alle Glasflächen in Isoglas; Innen- und Außengestaltung in Holz; Holzdielenboden; glatte, klare Flächen und Formen bei der Inneneinrichtung, ein wenig an den Bauhausstil erinnernd; Freischwinger-Stühle; etc. Diese Wohnlichkeit lässt auch mehrtägige Schlechtwetterphasen überstehen, ohne dass man sich angiftet.
In der Küche findet dieser Eindruck seine Fortsetzung: Edelstahl-Thermoskannen, geschmackvolles Geschirr und Besteck (... wenn ich da an meinen letzten Dampfer denke: da war alles vom Billigheimer, der Korkenzieher war lebensgefährlich, weshalb ich ihn in einem Wutanfall auf den Grund des Stolpsees befördert hatte!), vierflammiger Gasherd mit Backofen (!), CD-Radio von SONY, Messer von ZWILLING, u.a. Der Kühlschrank ist ausreichend und kühlt wie der Teufel!
Im Bad eine Dusche mit Duschtasse in Normalgröße, mit einer Glastür abgetrennt. Für die Sitzungen genügend Bein- und Kniefreiheit. Der Lokus von einer Dimension, wie man sie von zuhause gewohnt ist, und die auch Damen mit Fenderfigur nicht vorbeiquellen lässt.
Das Schlafzimmer klar und ohne Firlefanz gestaltet, mit zwei Leselampen, die diesen Namen auch verdienen. An der Decke eine Plexiglaskuppel, die es erlaubt, nachts die Sterne zu zählen - jedenfalls wenn welche da sind. Bettzeug und -wäsche von guter Qualität. Matratzen eher weich, hier würde ich mehr Festigkeit vorziehen.
Im Wohnzimmer steht eine Couch, die auch als Zusatzbett genutzt werden kann. Ein stabiler, massiver Buchentisch, zu zwei Größen aufklappbar, vervollständigt das Mobiliar. An den Seiten und der Vorderfront können die Fensterelemente aufgeschoben werden. Dies ist auch bei Festmachemanövern hilfreich. Die Fenster können ganzflächig durch geschmackvolle Vorhänge sichtgeschützt werden.
Das Dach ist als Sonnentrerrasse ausgebaut. Es hat zwei Liegen mit Sonnenblende und ein recht ordentliches Schlauchboot, beides ebenfalls nicht vom Billigheimer.
Die Dieselheizung (Webasto) ist in der Bedienung idiotensicher und spricht sehr gut an.
Am meisten hat mich die Bordelektrik beeindruckt. Mit Ausnahme der Starterbatterien/-elektrik, die separat geladen werden, hat das SEEMOBIL eine 220 V-Bordanlage mit 1.000 Ah Speicherkapazität. Sie erlaubt mehrtägige Abwesenheiten vom Landstrom. Wird der Kujambel doch einmal knapp (unter 60% Batterieladung) steht ein Dieselaggregat zur Verfügung, das vom Bordcomputer automatisch aufgeschaltet wird. Daneben lässt sich die Batterie auch noch über ein Landstromkabel laden. Die gesamte Elektrik kann zentral (Steuerstand) und dezentral (Einzelverbraucher) geschaltet werden.
Selbstverständlich wird auch das Ankerspill elektrisch betrieben. Der Anker ist ein Pflugscharanker, der das Schiff in allen Ankerlagen sehr gut gehalten hat.
Die Bordelektrik sowie die großen Frisch- und Schmutzwassertankkapazitäten (jeweils über 400 l) machen das SEEMOBIL zur idealen schwimmenden Basis für alle diejenigen, die gerne draußen vor Anker die Ruhe genießen, schwimmen, sonnenbaden wollen. Sie müssen höchsten alle 3 oder 4 Tage einen Hafen anlaufen.
Bei regnerischem Wetter offenbart sich ein weiterer Vorzug: während man bei Booten mit Flybridge oder Innenfahrstand sich nun mit Sehschlitzen und altersschwachen Scheibenwischern herumschlagen muss, kann man hier mit unverminderter Sicht bequem, warm und trocken weiterfahren!
Kritik: Keine, die Gewicht hätte. Die vorderen Kreuzpoller sollten ergänzt werden durch einen weiteren etwa 2-3 m weiter achtern. Die Lage der Außenanschlüsse, Füll- und Entleerungsstutzen erfordert wegen ihrer ansonsten eingeschränkten Zugänglichkeit einige Überlegung beim Anlegen.
Fazit: Das SEEMOBIL ist ein echter Hingucker, und bietet wie kein anderer Schiffstyp die optimale Kombination von Fahr- und Wohnkomfort. Es ist das ideale Wohnschiff für schlechteres Wetter, und für Mitmenschen, die es "ruhig angehen lassen". Es ist weniger empfehlenswert für Freizeitkapitäne, die in kurzer Zeit große Strecken bewältigen wollen, und zum Wasserskifahren völlig ungeeignet. Und: auch Lange stoßen sich nirgendwo die Birne!
... Edgar